Böhler-Werke
1914 kaufte die österreichische Fa. Böhler das Büdericher Grundstück und begann ein Jahr später mit der Stahlproduktion der Böhler-Werke. Das Pförtnerhaus wurde auf Düsseldorfer Grund errichtet, so dass die neue Firma die begehrte Düsseldorfer Postanschrift erhielt. Die Gewerbesteuer fließt jedoch bis heute nach Meerbusch (früher Büderich). Die Stahlproduktion lief insbesondere in den beiden Weltkriegen auf Hochtouren. Ende 1970 waren noch ca. 4500 Menschen in den Werken beschäftigt. Die Produktion in der Schmiede und im Stahlwerk wurde 1993 eingestellt. Heute: Lagerplatz, Weiterverarbeitung von Stahlerzeugnissen, Vermietung nicht mehr genutzter Hallen und Flächen unter dem Namen "Areal Böhler", Aktivitäten und Ateliers von Künstlern.
Fünf Gebäude auf dem Gelände der ehemaligen Gebr. Böhler-Edelstahlwerke waren lange nur "vorläufig" unter Schutz gestellt. Gegenüber einer Unterschutzstellung als Denkmal gab es Vorbehalte auf der Böhler-Seite. Man befürchtete zu starke Einschränkungen bei eventuellen Abriss- und Umbaumaßnahmen oder für die künftige Nutzung. Eine sog. "Erprobungsphase" wurde vereinbart. Das Jahr der Industriekultur in NRW im Jahr 2000 brachte dann jedoch offensichtlich ein Umdenken. 14 Jahre nach Vorlage des Gutachtens der Fachbehörde (1996) kam es zu einer endgültigen Unterschutzstellung des Denkmals durch Beschluss des Kulturausschusses der Stadt. Das wurde auch in der Öffentlichkeit positiv kommentiert: Mit dem Ostara-Werk in Osterath war ein Stück lokaler Industriegeschichte verschwunden. Mit dem Böhler-Werk in Büderich sollte das offensichtlich nicht passieren. So der Tenor in der Lokalpresse (Rheinische Post vom 28.7.2010 und Westdeutsche Zeitung vom 6.8.2010).
Die Eintragung in die Denkmalliste folgt dem Gutachten des LVR-Amtes für Denkmalpflege im Rheinland vom 26.09.1996, das hier auszugsweise aber sehr umfangreich wiedergegeben wird, weil es bislang noch keinen offiziellen Listeneintrag gibt und weil das Gutachten nur schwer zugänglich ist. Bei dem Gutachten handelt es sich um die Anlage zur Beratungsvorlage für die Sitzung des Kulturausschusses am 22.6. 2010, die uns von der Unteren Denkmalbehörde freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde:
Die Brüder Albert und Emil Böhler aus Frankfurt/M ließen 1870 ins Wiener Handelsregister ein "Geschäft zum ausschließlichen Vertrieb der steyermärkischen Stahlsorten" eintragen. Es kam zu Firmengründungen in Österreich und in Deutschland, darunter kurz vor dem ersten Weltkrieg (1913) auch bei Düsseldorf. "Böhler-Stahl" wird zu einem Qualitätsbegriff. 1915 laufen die ersten rüstungsbezogenen Produktionen an.
Von der ehemaligen gesamten Werksanlage werden folgende Gebäude als "denkmalwert" eingestuft:
1. Altes Kesselhaus (Kraftzentrale)
Dieser Bau zählt zu den markantesten und besterhaltenen der Erbauungsphase des Werkes. Gleichzeitig klingt hier das architektonische Leitmotiv der turmförmigen Ausbildung von Bauteilen an. Kesselhaus, Maschinenhaus und der Backstein-Schornstein bilden eine Einheit. Vom historischen Kessel- und Maschinenbestand jedoch ist nichts mehr erhalten.
2. Wasserversorgung mit Wasserturm
Wahrzeichenartig überragt der nordwestlich des alten Kesselhauses stehende Wasserturm das gesamte Werksareal. Der auf quadratischem Grundriss aufsteigende Wasserturm verjüngt sich nach oben zu einem achteckigen Kopfteil mit einem flachen Zeltdach. Die Vertikalität wird noch betont durch Hochrechteckfenster. Zum Uhrturm wird der Wasserturm durch Zifferblätter an den Seiten des achteckigen oberen Turmteils. Im Innern hat sich nichts von der technischen Ausstattung der Erbauungszeit erhalten.
3. Pförtnerhaus II
Der gestaffelte Pförtnerbau bildet den nördlichen Abschluss des schmal-langen Magazintraktes. Zusammen mit der Werksmauer markiert er den rückwärtigen Zugang zum Werkskomplex als Pendant zum repräsentativen, aber heute sehr stark veränderten Haupteingang an der Südostecke des Werkes (Hansaallee).
4. Ehemalige Finanzdirektion (Verwaltungsgebäude von 1956)
Als Finanzdirektion entstand 1956 das viergeschossige Verwaltungsgebäude als langrechteckiger Bau in Stahlbeton mit Backsteinverkleidung. Weitere Materialien: hellgrauer Kunststein und Glasbaustein. Das innere der beiden Treppenhäuser weist weitgehend die ursprüngliche Gestaltung der 1950er Jahre (Treppengeländer, Treppenstufen) auf. Im Südosten erhält der Treppenaufgang eine besondere, geschwungene Gestalt durch die Einbeziehung des Weltkrieg-II-Bunkers.
5. Luftschutzbunker aus den 1940er Jahren
Der in massivem Stahlbeton errichtete, das viergeschossige Verwaltungsgebäude beträchtlich überragende Luftschutzbunker hat eine charakteristische konusförmige Gestalt und weist eine zweifache Abknickung der Umrisslinie auf, wie sie für Anlagen dieser Art typisch waren. Anlagen dieser Art gibt es heute nur noch wenige. Bis zu 500 Menschen fanden hier Schutz. Flache Lüftungsnasen wurden nach dem Zweiten Weltkrieg durch bandförmige Fenster ersetzt. Auf einem schmalen, leicht ansteigenden Rundweg durch die sechs Stockwerke im Innern stehen heute Archivregale.
Das Gutachten des Amtes für Denkmalpflege stuft die Anlage mit den 5 Baudenkmälern gem. §2, Abs. 2 DSchG NW als "bedeutend für die Geschichte der Städte und Siedlungen sowie für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse" ein.
Zur Bedeutung für die Geschichte der Städte und Siedlungen: Der Aufbau eines Werkes "auf der grünen Wiese" erfolgte streng rational und weist ein Kompositionsraster auf, das den Produktionszwecken optimal entspricht.
Zur Bedeutung für die Entwicklung der Arbeits- und Produktionsverhältnisse: Die Baudenkmäler machen einerseits den Sektor Kraft- und Grundstoffversorgung und andererseits den Sektor Verwaltung eines industriellen Großunternehmens in zwei Zeitschichten (Arbeiten unter Bedingungen des Weltkrieges und Arbeiten nach dem Weltkrieg) deutlich. Das Pförtnerhaus II steht stellvertretend für die Scheidung des industriellen Arbeitsplatzes vom übrigen Lebens- und Wohnumfeld. Für die Zeitschicht der 1950er Jahre steht lediglich der zeittypische Verwaltungsbau von 1956 mit einem gewissen Grad von baukünstlerischer Originalität auch im Innenbereich.
Die baukünstlerische Formgebung verdankt die "Turmfamilie", von der heute nur das Mittelglied über dem Schmiedebetrieb von 1916 fehlt, dem bedeutenden Stuttgarter Industriearchitekten Philipp Manz (1861-1949), der an mehreren Stellen in Österreich und Deutschland Uhrenfabriken, Waffenfabriken, Flugmotoren- und Autofabriken sowie Textilfabriken gebaut hat.
Mit den Produktionsstätten, dem Verwaltungsbau und der Bunkeranlage ?bietet sich hier ein ganzer Abriss der Geschichte der Industriearchitektur dar."
Würden diese Baudenkmäler verschwinden, so die Gutachter, "fehlte dem Ortsbild die jetzt wesentliche Markanz, wie sie von Passanten wie vom Straßen- und Schienenverkehr her zum gegenwärtigen Zeitpunkt wahrnehmbar ist." Und das Gutachten schließt mit dem Satz: "Wenigstens die genannten, qualitätvollen Werkbauten sollten in Büderich die Erinnerung an eine großindustrielle Unternehmung, die - von über 1000 Arbeitern errichtet - streckenweise bis zu 4000 Arbeitskräfte beschäftig hat, dokumentieren."
Die Böhlerwerke waren und sind noch heute mit der Geschichte und Gegenwart von Büderich eng verbunden: Böhler-Straße, Böhler-Siedlung, Böhler-Werkskapelle (Böhlerwerkskapelle) , Dr. h.c. Franz Schütz (Werksdirektor, Gründungsmitglied der Büdericher CDU 1945, Landtagsabgeordneter und erster freigewählter Bürgermeister von Büderich nach dem Zweiten Weltkrieg, Namensgeber für den zentralen Marktplatz in Büderich: Dr.-Franz-Schütz-Platz , Adenauer-Besuch der Böhler-Werke und der Böhler-Siedlung am 13.5.1954, Kooperationsvertrag zwischen den Böhler-Werken und dem Büdericher Mataré-Gymnasium in der Berufsberatung und dualen Ausbildung für Abiturienten im Jahr 2010. Zur Firmengeschichte gehört auch ein Männerchor, der 2021 mit einem Jubiläumsheft sein 100jähriges Bestehen feiert (s. Rheinische Post vom 30.3.2021)
Auf dem Gelände des Böhler-Gewerbeparks (Areal Böhler)befinden sich heute zahlreiche Gewerbebetriebe. Im ehemaligen Kesselhaus, in der Halle am Wasserturm und ab Mai 2011 auch in der alten Industriehalle der Stahlfedernfabrik Styria finden größere Kulturevents,z.T. mit Galamenüs, statt.
Künstler haben Ateliers eingerichtet und zahlreiche künstlerische Spuren auf dem Gelände hinterlassen.
Das "Areal Böhler" gehört heute mit seinem "innovativen Branchenmix" zu den interessanten Standorten der regionalen Wirtschaft (Monika Götz in der RP vom 10.Juni 2011, Seite E 10). Die 44 Fotos umfassende Bildgalerie zum Areal zeigt die Vielfalt der heutigen Nutzung. Messeveranstalter wie Michael Jacoby schwärmen von der "chilligen Atmosphäre" in den denkmalgeschützten Räumlichkeiten: "Die Schmiedehalle im Areal Böhler ist ein einzigartiges Industriedenkmal, knapp 8500 Quadratmteter groß und von Tageslicht durchflutet" (Rheinische Post 14.Mai 2013).
Die Lokalpresse registriert sehr aufmerksam, wenn die Böhler AG dem Denkmalgedanken folgend "in die Erhaltung des industriellen Erbes investiert" wie im Sommer 2011, als es u.a. darum ging, den "Wasserturm:Die Büdericher Landmarke" zu sanieren (Rheinische Post vom 27.08.2011).
2011 werden auf dem der Stadt Meerbusch gehörenden südlichen Teil der ehemaligen Böhler-Erweiterungsfläche zwischen Düsseldorfer Straße, Böhlerstraße, Böhlerwerk und Hoxdelle Grabungsarbeiten an den Stellen vorgenommen, wo das Rheiniche Amt für Boden- und Denkmalpflege Römergräber vermutet ( s.Rheinische Post vom 10. März 2011).
Im Herbst 2011 wird angesichts von Verkaufsverhandlungen über die Böhler-Siedlung auch die Unterschutzstellung der historischen und für die Büdericher Entwicklung kennzeichnenden Siedlung als "Denkmalbereich" gem. §2 (3) des nordrheinwestfälischen Denkmalschutzgesetzes diskutiert (Rheinische Post vom 14.10.2011).
Ein ehemaliger Lehrling bei Böhler, Herr Herbert Stoppe (Berlin/Südfrankreich), hat unsere Internet-Seite entdeckt und schreibt uns im Februar 2013: "Ich denke noch sehr oft an die tolle Ausbildung (1950-1954) zurück". Er erinnert sich an seine Ausbilder, an die anderen Lehrlinge, an die Ferien mit der Böhlerjugend in der Jugendherberge in Altenahr 1951, an den dortigen Besuch des Direktors Dr. Franz Schütz und an den Besuch von Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer in Büderich, "als der 1. Elektro-Ofen eingeweiht wurde."
Von den Ferien in Altenahr 1951 hat er uns das unten aufgenommene Foto geschickt.
Die jeweils aktuellen Veranstaltungen in den denkmalgeschützten und sowohl gewerblich wie auch kulturell genutzten ehemaligen Werksgebäuden finden Sie auf der Homepage von Areal Böhler.
Lit.:
Gebr. Böhler & Co. AG. (Hrsg.): 100 Jahre Böhler Edelstahl. Wien 1970
Regenbrecht, Michael, Dr. Franz Schütz: Ehrenbürger, Mensch und Mythos, in: Meerbuscher Geschichtshefte, Heft 28 (2011), S. 62-81.
Lage: Düsseldorf, Hansaallee 321, Gemarkung Büderich, Flur 28, Flurstück 114
Liste:
Nr. 82 Gebäude auf dem Gelände der ehemaligen Gebr. Böhler-Edelstahlwerke Düsseldorf
82.1 Altes Kesselhaus (ehemalige Kraftzentrale mit Lehrwerkstatt und Kompressorenhaus
und Schornstein)
82.2 Wasserversorgung mit Wasserturm (markantes Wahrzeichen mit Uhr am achteckigen
oberen Turmteil)
82.3 Pförtnerhaus II am süd-westlichen Werkszugang
82.4 ehemalige Finanzdirektion (Stahlbetonbau mit Backsteinverkleidung und Brüstungs-
Platten in hellgrauem Kunststein, direkt angebaut an 82.5)
82.5 Luftschutzbunker 1938 (sog. Typ Winkel, eisenarme Bauweise, charakteristische konus-
Förmige Gestalt)
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