Alte und Neue Vikarie
Die beiden Denkmäler "Alte Vikarie" und "Neue Vikarie" werden zu einem Album zusammengefasst, um den historischen Zusammenhang der Kirchengeschichte der ehemaligen Pfarrkirche St. Nikolaus zu wahren.
"Spätestens seit dem Dreißigjährigen Krieg stand dem Osterather Pfarrer zur Unterstützung in der Seelsorge ein Vikar zur Seite. Wie der Pfarrer, so bestritt auch der Vikar seinen Lebensunterhalt aus einem speziellen (Vikarie-)Fonds. Dieser bestand aus einer Reihe von Grundstücken..aus Geld- und Naturalrenten sowie festen Geldbeträgen, die gegen 4 1/2% Zinsen an die Osterather Bevölkerung ausgeliehen wurden. Zu diesem Vikariefonds gehörte weiterhin auch das Vikariegebäude, das dem Vikar zur freien Nutzung zur Verfügung stand"(Schöndeling, S.68).
Das erste Vikariegebäude ("Alte Vikarie") wurde an der Ecke Hochstraße/Bommershöfer Weg errichtet. "Zu diesem Gebäude gehörten eine Stallung, ein Schuppen und ein winziges Baumgärtchen" (Schöndeling, ebenda).
Im Laufe der Jahre nahmen die Feuchtigkeitsschäden mehr und mehr zu, so dass es zu einem Neubau ("Neue Vikarie") hinter der Kirche St. Nikolaus, Kirchplatz 27, kam.
I "Alte Vikarie": Die Eintragung in der Denkmalliste der Stadt zur "Alten Vikarie" lautet: "Das traufständige, zweigeschossige, in Ständerbauweise errichtete Fachwerkhaus mit Krüppelwalmdach entstand im Kern vermutlich im 18. Jh. Das zweiraumtiefe, quererschlossene Gebäude mit mittig angeordnetem Flur weist eine rückwärtige, möglicherweise jüngere Abschleppung auf. Die zweigeschossige, innere Traufwand, die weitgehend original erhalten ist, zeigt im Innern des Hauses Reste einer Ankerbalkenverzierung. Im Erdgeschoss haben sich Kölne Balkendecken erhalten. Die heutige Treppe, die sich im abgeschleppten Teil des Hauses befindet, wurde vermutlich in den 30er Jahren neu eingebaut.
Die ursprüngliche, geradeläufige Treppe war giebelparallel im Flug angeordnet, wie der Wechsel in den Deckenbalken vermuten lässt. Der Sparrendachstuhl des Hauses, der eine Kehlbalkenlage aufweist, ist jüngeren Datums und ohne größeres zimmermanntechnisches Interesse".
Die nach dieser Beschreibung folgende Begründung für die Unterschutzstellung der "Alten Vikarie" zeigt die Bedeutung des Denkmals und beleuchtet auch den Hintergrund der inzwischen gerichtlichen Auseinandersetzung zwischen der Stadt und dem Eigentümer: "Das Haus Hochstr. 20 ist ein wichtiges Zeugnis für die Entwicklung der katholischen Pfarrgemeinde St. Nikolaus in Meerbusch-Osterath. Es handelt sich um den Vorgängerbau der 1872/73 am Kirchplatz errichteten neuen Vikarie. Das Fachwerkhaus gehört somit zur historischen Bebauung des alten Ortskerns von Osterath und zeigt deren ursprüngliche Maßstäblichkeit.
Das Gebäude ist bedeutend für die Geschichte des Menschen, insbesondere die Orts- und Siedlungsgeschichte von Osterath. Es handelt sich um ein typisches Zeugnis des historischen Ortskerns im 18. und 19. Jh. Es ist erhaltenswert aus ortsgeschichtlichen und architekturhistorischen sowie hauskundlichen Gründen".
Die Geschichte des Denkmals in den letzten Jahre in Kurzfassung: Ein neuer Eigentümer erwirbt 1999 das denkmalgeschützte Gebäude. Damit ist er zum Erhalt des Denkmals verpflichtet. Die Sanierung des Gebäudes erfolgt nach Feststellung der Unteren Denkmalbehörde jedoch nicht denkmalgerecht (es wurden z.B. Teile des tragenden Fachwerks entfernt ). Die Behörde ordnet einen Baustopp an und drängt auf Sicherungsmaßnahmen gegen den weiteren Verfall des Denkmals. Der Eigentümer stellt sich auf den Standpunkt, die Rückabwicklung der unsachgemäßen Sanierung, weitere Sanierungsarbeiten und Sicherungsmaßnahmen seien ihm wirtschaftlich nicht zumutbar. Überhaupt sei nicht mehr an eine Wirtschaftlichkeit zu denken. Abriss und Neubau seien die einzige Alternative (s. auch WZ vom 21.9.2007). Ein entsprechender Antrag des Eigentümers wird abgelehnt. Die Stadt lässt gegen den weiteren Verfall des Denkmals im Wege einer sogenannten "Ersatzmaßnahme" eine Schutzfolie über das gesamte Gebäude ziehen. Glück im Unglück: Ein von Unbekannten gelegter Brand wird 2010 von der Feuerwehr so fachmännisch und umsichtig gelöscht, dass kein weiterer Schaden an der Denkmalsubstanz entsteht. Die gerichtliche Auseinandersetzung geht weiter. Januar 2012 weist das Verwaltungsgericht Düsseldorf den Antrag des Eigentümers auf Abrissgenehmigung ab. Der Rechtsweg ist jedoch damit noch nicht ausgeschöpft. Nach Recherchen der Lokalpresse könnte der Kläger letztlich die Übernahme des Denkmals durch die Stadt beantragen. Dazu der Leiter der Rechtsabteilung der Stadt: "Ich gehe davon aus, dass uns die Angelegenheit noch einige Jahre beschäftigen wird" (ebenda).
Die jüngste Geschichte dieses Denkmals liest sich zugleich wie ein Kommentar zum Denkmalschutzgesetz NRW: Aufgabe des Denkmalschutzes und der Denkmalpflege allgemein(§ 1), Denkmalliste in einer Stadt (§ 2), Pflicht des Eigentümers zur Erhaltung des Denkmals (§ 7), Zuständigkeit der Unteren Denkmalbehörde (§ 21), Einstellung von widerrechtlichen Baumaßnahmen (§ 27), Enteignung und Entschädigung (§§ 30 und 33), Übernahme durch die Gemeinde (§31).
II "Neue Vikarie": Die Eintragung vom 10.3.1987 in der Denkmalliste zur Neuen Vikarie lautet: " Das Gebäude wurde 1872/73 als Ersatz für das alte Vikarie-Gebäude Hochstr. 20 hinter dem Chor der Pfarrkirche errichtet. Geprägt von der offiziellen "Baupolitik" des Erzbistums Köln zeigt sich das Gebäude in neugotischen Formen. 1985/86 wurde das Gebäude restauriert und die historische Fassade wiederhergestellt.
Das Gebäude hat Bedeutung für die Geschichte des Bauwesens des Erzbistums Köln, Bedeutung für das Bauwesen der Kirchengemeinde St. Nikolaus und Bedeutung für die städtebauliche Entwicklung der Gemeinde Osterath".
Diese Eintragung basiert ganz offensichtlich auf dem Aufsatz von Norbert Schöndeling in H. 3 der Meerbuscher Geschichtshefte (s.u. Literatur), der sich im Nachhinein wie ein Gutachten für die Aufnahme des Gebäudes in die Denkmalliste liest. Darin stellt der Autor die Sanierungsmaßnahmen im Frühjahr 1986 dar. Für die Instandsetzung war noch der Originalfassadenriß mit den neugotischen Form vorhanden (abgebildet auf S. 69). "Ein Blick auf das Bauwesen der Erzdiözese Köln im 19. Jahrhundert zeigt, dass die Verwendung neugotischer Formen keine willkürliche Modeerscheinung war, sondern gezielt als Ausdruckmittell kirchlichen Selbstbewußtseins (Anm.: zur Zeit des Kulturkampfes) galt. Ihre Verwendung war gleichsam pastorales Programm, und so wurde deren Verwendung per erzbischöflichem Erlaß verordnet" (S. 76).
Literatur:
Norbert Schöndeling, Die neue Vikarie von St. Nikolaus in Osterath. In: Meerbuscher Geschichtshefte, Heft 3, S. 67-76, Geschichtsverein Meerbusch e.V., Meerbusch. 1986
Lage: Meerbusch-Osterath, Hochstraße 20/Ecke Bommershöfer Weg ("Alte Vikarie") bzw. Kirchplatz 27 ("Neue Vikarie")
Verzeichnis: Nr. 119 ("Alte Vikarie") bzw. 139 ("Neue Vikarie")
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